Vortrag
von Prof. Brückner zum Jahr der Chemie 2003
Experimentalvortrag 2003 zum Jahr der Chemie
"Warum gibt es karierte Tischdecken und keine karierten Schafe?
Chemie der Farben und des Färbens"
Prof. Dr. Reinhard Brückner
Institut für Organische Chemie und Biochemie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Der Mensch erfährt seine Umwelt in erster Linie mit dem Auge. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie man beim Vergleich etwa mit Hunden bemerkt, die ihre Umwelt vor allem mit der Nase erkunden. 60% der vom Menschen verarbeiteten visuellen Information sind Hell-Dunkel-Unterschiede ("rabenschwarz", "silbergrau", "schneeweiß", ...). Die restlichen 40% Seheindrücke beruhen auf Farben ("zitronengelb", "blutrot", "himmelblau", "smaragdgrün", "mahagonibraun", ...). Wie wichtig dieses Farbensehen ist, zeigt unser diesbezüglich hochdifferenziertes Wahrnehmungsvermögen: Wir können zwischen 100 000 und 1 000 000 Farbnuancen voneinander unterscheiden.
Doch was ist eigentlich "Farbigkeit"? Und was sind - zweitens - "Farben"? Und drittens: wie verleiht man andernfalls farblosen Gegenständen durch "Färben" Farbigkeit?
Die "Farbigkeit" eines Gegenstands ergibt sich daraus, ob er Licht, das auf ihn trifft, vollständig, anteilig oder überhaupt nicht hindurchtreten läßt oder reflektiert. Inwieweit das der Fall ist, können Chemiker aus den Energien der Elektronen ableiten, die die Atome in egal welchem Stoff des Universums zusammenhalten.
"Farben" ist umgangssprachlich der Sammelbegriff für "Farbpigmente" - damit betreibt man Deckfarbkästen, streicht Häuser oder lackiert Autos - und "Farbstoffe" - diese machen den Rest des Lebens bunt, von der Paprikaschote über das Urlaubsfoto bis zum Abendkleid.
Schon die vergleichweise wenigen natürlichen Farbstoffe zeigen: Auf die Chemie kommt es an! Beispielsweise unterschied sich der Farbstoff A (pupurrot) im Königsmantel Karls des Großen von dem Farbstoff B (indigoblau) in den Beinkleidern Billy the Kids nur um die scheinbare Marginalie der Anwesenheit von zwei Brom- statt zwei Wasserstoffatomen:

So verschieden dennoch diese Kleidungsstücke waren - farblich und in bezug auf den pro-Stück-Preis ! -, in einem stimmten sie hundertprozenzig überein: Einen Vollwaschgang in einer Standard-Haushalts-Waschmaschine des 21. Jahrhunderts hätte keines von ihnen unbeschadet überstanden. Sowohl der Mantel als auch die Jeans wären nach dem ersten Waschen verblaßt gewesen und nach dem dritten Waschen ausgebleicht. Weshalb? Weil der Farbstoff und das Gewebe jeweils nicht zusammenpaßten und somit kein richtiges "Färben" möglich war.
Sich künstliche Farbstoffe in allen erdenklichen Farben zu verschaffen - bis heute stellte man über 100 000 her - und sie einer breiten Kundschaft zu Alltagspreisen zugänglich zu machen, führte um 1850 zur Gründung der ersten chemischen Fabriken. Daraus ging im Lauf der Jahre die chemische Industrie insgesamt hervor mit ihren immer zahlreicheren Anwendungsprodukten. Sie stellt heutzutage in den meisten OECD-Länder einen der ganz großen Wirtschaftszweige überhaupt dar und brachte in Deutschland 2001 5.1% des Bruttoinlandsprodukts auf, was der Bedeutung der Maschinenbauindustrie gleichkommt und lediglich von der Wertschöpfung in Elektrotechnik und Automobilindustrie übertroffen wird.
Wie man mit geeigneten Farbstoff/Gewebe-Kombinationen "auf Dauer färben" kann und welche Eigenschaften die Chemiker dafür Farbstoff und Gewebe verleihen müssen, wird in dem hier angekündigten Experimentalvortrag in Wort und Tat exemplarisch gezeigt. Im Zentrum der Veranstaltung stehen die Farbstoffe Kristallviolett und Methylorange sowie das Färben von (Schaf)Wolle und von (vollsynthetischem) Polyacrylnitril ("Dralon"®).
Außer dem Hauptthema, auf das der Vortragstitel hinweist, wird gezeigt bzw. erläutert, ...
- ... wie man durch eine Farbänderung von Methylorange Ascorbinsäure (= Vitamin C) von Zitronensäure unterscheiden kann und warum das so ist;
- ... wie man durch Farbänderungen von Rotkohlsaft Säuren und Basen von Wasser unterscheiden kann und warum das so ist;
- ... wie man durch das Ausbleiben einer Farbänderung Kugelschreiber-Schrift von Tinten-Schrift unterscheiden kann und warum das so ist;
- ... wie man Kationen und Anionen durch sog. Ionenaustauscher selektiv binden kann und warum das so ist;
- ... und wie all das mit dem Kariert-Färben von Tischdecken bzw. Uni*-Färben von Schafen zusammenhängt (*in den beiden Wort-Sinnen!).